
Joven kann sich keinen Reim aus seinen Gefühlen machen.
Das Meer ist ruhig.
Logbuch der Insel von Rittiner & Gomez

Joven kann sich keinen Reim aus seinen Gefühlen machen.
Das Meer ist ruhig.

gefroren der kot
niemand kümmert sich darum
bis die krähe kreischt
Text: Ruth Loosli

Als Finder einer Flaschenpost wollte er jetzt selber einmal eine auf die Reise schicken. Jetzt ist er gespannt, ob die jemals irgendwo ankommt und er sogar eine Antwort bekommt.
Heute kam ein Brief, seiner Briefpartnerin an, die hat eine so regelmässige Schrift, da kann er nicht mithalten, aber selbstverständlich wird er antworten.
Postkarte Nr. 53

Da die Fähre zu Insel zu lange dauert, geht er nur einmal pro Monat nach Hause. Er geniesst die freien Sonntage, wo er bestimmt einmal zum Meer geht. Dabei sollte er doch lernen, die Wohnung putzen, einkaufen, einen Brief schreiben und vor allem muss er unbedingt noch eine Runde auf dem Fahrrad machen. Denn ein bis zweimal pro Woche geht es mit seinen Arbeitskollegen auf das Rennrad und da ist er immer am Anschlag, vor allem wenn es flach oder bergab geht. Er ist sich nicht gewohnt, in einer Gruppe zu fahren. Vor allem bergab braucht er Abstand zu den Anderen, die rollen ihm dann davon. Immerhin kann er bergauf gut mithalten, aber warum muss es immer so schnell gehen?

wind pfeift im garten
frauenschuh und männertreu
tauschen nektar aus
Text: Ruth Loosli

Sein Kopf ist leer.

Er wohnt in der Dachwohnung eines vierstöckigen Hauses. Für den Hund im Parterre ist er noch ein Fremder. Kommt er Abends spät nach Hause, beginnt der lautstark zu bellen und im ersten Stock öffnet sich die Türe und im dritten Stock sieht er durch das Oberlicht wie das Licht angeht. Auf alle Fälle, für die Zeit seinen nach Hause Kommens hätte er immer mehrere Zeugen.
Bei der Arbeit wurde ausführlich über die Strecke der Tour de France im nächsten Jahr gesprochen. Alle scheinen verrückt nach diesem Rennen zu sein.
Ansonsten, viel Neues und vor allem von allem viel.

verblühtes duckt sich
ich wollte zu dir kommen
doch mein mund ist leer
Text: Ruth Loosli

Die Freiräume füllen sich zu schnell mit allem Möglichen. Arbeit, Schule, Freizeit, Haushalt, Behörde und einfach sein.
Immerhin kann er jetzt selber entscheiden, wie viel Unordnung es verträgt und weiss auch, wer verantwortlich dafür ist.
In der Strasse, wo er jetzt wohnt, gibt es ein sehr gutes Kaffeehaus. Solange er am Tisch sitzt, kann er nicht viel falsch machen. Aber wie lange darf man hinter einer leeren Kaffeetasse sitzenbleiben? Zum Glück beachtet ihn niemand. Heute will er noch einen Brief schreiben.

Er ist doch noch in seiner Wohnung angekommen.
Bis Montag sollte er wieder auf den Beinen sein, um zu arbeiten.
Obwohl er auf dem Festland die Insel vermisst, geniesst er es hier, dass ihn niemand kennt. Auch keine Eltern, Verwandten oder gar Lehrer*innen, die irgendetwas über ihn zu erzählen hätten. Er ist allein für seinen Ruf verantwortlich. Aber hat er den einen?
Oft denkt er sich, dass man ihm trotzdem auf den ersten Blick, als Insulaner und Fremden erkennt. Hier scheinen ihm alle so selbstbewusst unterwegs zu sein. Das schafft er nicht. Aber dafür kann er gut in der Anonymität untertauchen.