Isla Volante

Logbuch der Insel von Rittiner & Gomez

Meerleser Nr. 23

Mann Meer

„Auf dem Grund des Meeres gibt es keine Dünung“, hörte der alte Mann das blassblaue Wesen in sein Ohr flüstern.

„Die Dünung gehört dem Sturm und der See, ist eine vom Wellengang erzählte, weit entfernte Geschichte.“

„Und die Dünung des Meeresgrundes?“

„Gehört dem Atmen des Erdmantels.“

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 22

Mann Meer

Die Dünung. Spürst du sie noch? Umgeben von all den rechten Winkeln – um dich, um die Bilder, um die Welten aus Geist, Fleisch und Blut, trägt ihr ewiges Auf und Ab das deine. Dich darin geborgen in einer Nussschale. Leben. Nicht irgendeines – deines. Auf dem Grund des Meeres.

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 21

Mann Meer

Bernstein. Ein Stück Wald aus der Tiefe des Meeres wieder aufgestiegen zum Licht. Licht. Licht flutet den langen, geräumigen Gang, den du durchschreitest, Bilder betrachtend. Auch sie stiegen auf zu Licht, Farbe und Kontur. Ebbe und Flut schöpferischen Denkens. Ein Mensch, eine Welt.

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 20

Mann Meer

Vom Sandstein der alten Gebirge erzählte der Mann dem Meerwesen und den versteinerten Muscheln, die man dort im Schatten der Wälder finden konnte. Und dem Bernstein, der einst in Wäldern als Harz entstanden, dann vom Meer geflutet und mit der Dünung der Erdkruste wieder zu einem bewaldeten Berg aufgeschoben worden war.

„Dann ist das Land auch nichts weiter als ein Meer?“

„Ja. Die Dünung ist eine langsame und lässt sich viel Zeit. Doch eigentlich ist die Erde eher ein Meer aus glühendem Gestein, als dass sie fest und unbeweglich wäre.“

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 19

Mann Meer

„… Sie kannte keine größere Freude, als von der Menschenwelt über ihr zu hören, die alte Großmutter musste ihr alles erzählen, was sie wusste von den Schiffen und Städten, Menschen und Tieren. Ganz besonders wunderbar und herrlich erschien es ihr, dass oben auf der Erde die Blumen dufteten, denn das taten sie auf dem Meeresboden nicht, und dass die Wälder grün waren und die Fische, die man dort auf den Zweigen sieht, so laut und lieblich singen konnten, dass es eine Lust war. Es waren die kleinen Vögel, die die Großmutter Fische nannte, denn sonst hätten es die Kinder nicht verstehen können, da sie nie einen Vogel gesehen hatten. …“
Der Alte hatte ein kleines Buch aus seiner Jackentasche gezogen und las dem Meerwesen daraus vor. Es verwunderte ihn nicht weiter, dass er eigentlich schon längst ertrunken und tot hätte sein sollen. Vielleicht war er das auch und der Tod war tatsächlich nichts weiter als der Schritt in ein anderes Leben, eine andere Welt. Vielleicht aber auch träumte er das alles nur und würde irgendwann aufwachen und sich verwundert die Augen reiben. Das Meerwesen wartete ungeduldig auf die Geschichte vom Meer unter den Wäldern. Er konnte es glucksen hören. Gerade so, wie er es vernommen hatte, als er noch im Boot gesessen hatte und dem Meer von seinem Boot aus vorlas.

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 18

Mann Meer

Das Meerwesen legte seinen Arm um den Alten und zog ihn hinab zum Meeresgrund, tiefer und tiefer. Das Tageslicht reichte nicht hierher, doch von dem seltsamen Paar ging ein Leuchten aus, das alles ringsum erhellte. Sie gelangten an eine Stelle, an der ringsum dunkle bis hellgelbe Steinchen aus dem Schlamm heraus zur Wasseroberfläche stiegen.

„Bernstein.“

Der alte Mann erkannte, was das blassblaue Wesen mit dem Sonnenlicht längst vergangener Tage gemeint hatte, das hier aufstieg wie gen Himmel geweinte Tränen. Nicht ein einziger Baum war zu sehen.

„Siehst du den Wald?“

„Ich kann ihn ahnen.“

„Vor vielen Millionen Jahren muss er ertrunken sein und jetzt gehört er zu mir.“

„So wie du zu den Wäldern gehörst, die sich heute an Land im Wind wiegen.“

„Ja?“

„Mhm.“

„Auch ich wiege mich gerne im Wind. Aber dass ich zu den Wäldern gehören soll …“

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser