Isla Volante

Logbuch der Insel von Rittiner & Gomez

Meerleser Nr. 17

Mann Meer

Du siehst kein Meerwesen. Was du siehst, könnte ebenso gut ein Delphin sein, der seine Kreise um den Ertrinkenden zieht. Ihn anstupst, zur Wasseroberfläche emporhebt. Gab es das nicht immer wieder in der Geschichte der Menschen auf dem Meer, dass Delphine sich zu ihnen gesellten? Einen ertrunkenen Wald. Nie gesehen. Vielleicht am Grund von Stauseen. Geisterhafte Schemen, in denen die Netze der Fischer sich verfangen. Aber am Grund des Meeres? Ich weiß nicht, ob du selbst es bemerkst, doch deine Schritte greifen weiter aus. Fast scheint es, als wärest du ungeduldig, den Fortgang der Geschichte im nächsten Bild zu erfahren.

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 16

Mann Meer

„Woher kennst du den Wald, woher den Baum?“ Den alten Mann verwunderte weder der Anblick des Meerwesens, noch, dass er sich ihm antworten hörte. Sank er doch mit ausgebreiteten Armen dem Meeresgrund zu und war im Begriff zu sterben.

„Ich habe dir zugehört, deinen Gedanken, und ich weiß an meinem Grund einen alten Wald liegen, alter Mann.“ Die transluzierend blassblaue Gestalt schien über große Kräfte zu verfügen, denn sie hielt den Körper des Alten in der Schwebe. Er fühlte sich nicht mehr sinken und doch fühlte er sich durch die Macht des Wesens bewegt.

„Kein Wald kann am Grunde des Meeres bestehen.“

„Und wenn ich es dir doch sage“, schüttelte das Meerwesen bedächtig den Kopf. „Er ist sehr alt, ertrunken. Und doch wiegt er sich im meiner Strömung und gibt von den Tagen preis, an denen er noch weit von mir grünte, was auch immer er damit meint, und das Licht der Sonne einfing.“

„Das Licht der Sonne?“

„Komm, ich zeige dir den ertrunkenen Wald, alter Mann.“

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 15

Mann Meer

Ertrinken. Taumelndes Sinken. Reglos sank der Alte in die Tiefe. Hier oben warf der Seegang ihn noch, doch ein wenig weiter unten bereits wiegte er ihn, drehte ihn um die Längsachse. Pfiff ihm eben noch der Sturm um die Ohren, zerstoben noch eben krachend die Wellen an der Bordwand, so wurde es nun mit jedem Meter lautlosen Sinkens stiller und stiller um den alten Mann.

„… Wenn ich hingegen meinen Leuten die Liebe zur Seefahrt mitteile und so ein jeder den Drang dazu in sich verspürt, weil ihn ein Gewicht im Herzen zum Meere zieht …“

Den Alten träumte offenen Auges, er hätte den Baum nicht gefällt, säße stattdessen in dessen Krone und lausche dem Rauschen saftig grünen Laubwerks. Er erspähte in einer Astgabel das Nest einer brütenden Amsel und hörte vom Wipfel her den Amselhahn singen zur aufsteigenden Nacht.

„Erzähl mir von jenem Baum“, hörte er das Meer wispern. Oder war es ein Seepferdchen? Oder ein Fetzen Tang, vom Sturm losgerissenen, der sich in Locken um ihn warf? Oder … gar ein menschliches Wesen? Nur eine bloße Traumgestalt? Ein zierliches Persönchen zupfte an seinem Ärmel, nahm sein faltiges Gesicht in beide Hände und ein unergründlich meergrüner Blick aus für jenes Gesicht viel zu großen Augen vertiefte sich in den des Alten. Ihm war, als ob die leise, sanfte Stimme des Wesens sich in seinem Kopf befände:

„Erzähle mir von dem einen Baum, alter Mann, bitte, erzähle mir von Wäldern!“ Auf dem Kopf trug es einen Hut aus einem Schneckenhaus, sein Haar wallte und wogte. Noch hob es sich dunkel gegen das mit zunehmender Tiefe schwächer werdende Licht des Tages über der See ab.

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 14

Mann Meer

Du fragst dich, ob es nun um den alten Mann geschehen sei. Ohnmächtig kann er sich nicht festhalten. Da liegt seine verdrehte Gestalt unter den Ruderbänken in Erbrochenem und Salzwasser. Mit jeder Woge, die das Boot empor hebt und dann wieder zu Tal schießen lässt, wird seine kraftlose Gestalt umhergeworfen. Und noch eine Stunde Regen mehr, noch ein paar Wellen weiter, die über die Bordwand gischten, und er wird da unten im Boot liegend ertrinken. Du denkst „… der alte Mann sei jetzt endgültig und eindeutig ’salao‘, was die schlimmste Form von glücklos ist …“ und fragst dich, ob es klug von dir war, dich auf diese Reise aufs Meer hinaus einzulassen. Mit einem alten Mann, der kaum mehr in die Waagschale zu werfen hatte als ein paar Bücher, aus denen er dem Meer vorlas. Mehr von seiner eigenen Sehnsucht beseelt als von Vernunft geleitet. Der sich hatte treiben lassen, Ruder und Mast verstaut, und der nun, jegliches Hilfsmittel, über das man ein wenig hätte, in den Lauf des Schicksals hätte eingreifen können, noch immer verstaut, einem unerbittlichen Ende entgegengeworfen wird. Zu schwach für die Wahrheit. Verschlungen von dem Ort seiner Sehnsucht, dem er sich anvertraut hatte.

Wird sich, gehst du ein paar Schritte weiter, überhaupt noch ein Fenster öffnen? Und werden die Fenster im Fenster die Geschichte hinter der Geschichte weiterführen?

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 13

Mann Meer

Angst, Angst, die ihm den Magen umdrehte. Das Boot eine Nussschale. Wurde hin und her geworfen, emporgehoben, rauschte die Wogen hinab. Der Alte hatte sich auf den Boden des Bootes gesetzt. Mitten hinein ins Wasser, das dort hinein gischtete. Umklammerte mit einem Arm eine Ruderbank, zog sich an der Bordwand hoch, übergab sich in einem Schwall ins Meer, dann wieder ins Boot. Schöpfte mit einer Schale, die er aus der Kiste geholt hatte, Salzwasser und Erbrochenes aus dem Boot. Wartete auf die eine Welle, die über dem Boot brechen und es in die Tiefe ziehen würde. Betete, dass der Sturm sich legen möge. Der Sturm, der eigentlich noch keiner war, was die Windstärke anging, die grobe See, die dem Kapitän eines Krabbenkutters kaum ein müdes Lächeln abgerungen hätte. Doch einem alten Mann, der in einem Boot vom Seegang umeinander gewirbelt wird und sich die Seele aus dem Leib kotzt, erschienen Sturm, Regen und der wilde Tanz des Bootes im Wogen der aufgewühlten See wie das Jüngste Gericht. Eine große Woge hob das Boot auf ihren Kamm, brach, das Boot stürzte hinab. Hart schlug der Kopf des geschwächten Alten gegen die Bordwand und er verlor das Bewusstsein.

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser

Meerleser Nr. 12

Mann Meer

Wieder strich die Hand des Mannes über die hölzerne Bordwand. Er hatte sie unter den Händen seines Onkels entstehen sehen und auch der Baum, den er gefällt hatte, fand sich darin verarbeitet. Hatte wohl so manchen Sturm überlebt, jener Baum. Und nun fand er, der ihn gefällt hatte, sich darin wieder, sich an die hölzerne Bordwand klammernd.
Mittlerweile wehte der Wind mit sechs Beaufort und der Seegang hatte sich ausgewachsen zu dem, was man grobe See nennt. Die Wellen warfen das Boot die brechenden Wellenköpfe hinauf und schleuderten es zwischen den Schaum, der sich nun auch in den Wellentälern fand.
Angst stieg im Alten auf. Angst ums Überleben.

Text: Ludwig Janssen

Serie: Meerleser