Isla Volante

Logbuch der Insel von Rittiner & Gomez

Nr. 12

Wal Delfin Möwe - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Als ich vom Leuchtturm zurücklief, hatte die erste Fähre bereits angelegt, die Einkaufsallee war belebt; an deren Ende standen die Traktorbusse und luden die Besucher ab – die Insel war autofrei. Auch die Ambulanz wurde von einem Traktor gezogen. Die einzigen Personenfahrzeuge, die man auf der Insel erlaubte, waren die Traktorbusse, die vom Hafen bis ins Zentrum fuhren, sowie Pferdewagen und Fahrräder.
Um bei den Einheimischen nicht aufzufallen, ging ich einer Gruppe Besucher hinterher und sah mir die Kartenständer vor den Souvenirläden an. In jedem steckten auch Postkarten von den Bildern, die der Alte gemalt hatte. Dann entdeckte ich meine Romane. Sie standen im Schaufenster des kleinen Bücherladens, inmitten einer Dekoration aus Schafen, Möwen und Plüschdelfinen.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 11

Notizen Zettelwirtschaft - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Ich erzähle meine Erlebnisse anhand der Notizen, die ich nach meiner Ankunft zu erstellen begann. Ich ahnte bereits dann, dass die Vergangenheit aus meinem Gedächtnis verschwinden und einer Phantasie weichen würde, die meinem Widerwillen, persönliche Dinge preiszugeben, wohlwollend entgegenkommt.
Meine Vorahnung hat sich bestätigt. Es ist mir heute nicht mehr möglich, mich an Geschehnisse, die ich mir nicht notiert habe, zu erinnern. Ich kann diese Erzählung nicht – wie ich es in meinen Romanen so gerne getan habe – mit Details anreichern, und sie widerstandslos durch die Köpfe gleiten lassen. Natürlich könnte ich sie erfinden. Doch bleibt mir keine Zeit mehr dafür. Ich bin gezwungen, bei der Wahrheit zu bleiben.
Die ersten Tage auf der Insel, die Begegnungen mit der Möwe, die nunmehr seit vielen Jahren tot ist – alles, was mir geblieben ist, sind die Notizen.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 10

Leuchtturm - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Bei Tagesanbruch rannte ich los. Mein Ziel war der Leuchtturm. Ich folgte der einzigen Teerstrasse der Insel, die über die Landenge führte, und auf der anderen Seite hinter einem Hügel verschwand. Die Landschaft, in der ich mich bewegte, war mir nicht neu, der Alte hatte sie mehr als einmal gemalt. Auch den Leuchtturm, der an der Seite einer Klippe hing, die ihn überragte. Ich sprang die steile Treppe hinunter bis zur Plattform und setzte mich auf die Mauer. Bis auf die Möwen, die in den Felsnischen unter mir ihren Nachwuchs versorgten, war ich alleine. Doch dann war auch sie wieder da. Balancierte nur wenige Meter von mir entfernt auf der Mauer und beobachtete mich. Vorsichtig stand ich auf und begann mit ihr zu sprechen. Sie liess es zu, ihr Kopf jedoch war in ständiger Bewegung. Dann öffnete sie die Flügel, stiess sich von der Mauer ab und segelte in Richtung des Ozeans davon.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 9

Künstleratelier - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Das Atelier, dessen Pläne er mir noch gezeigt hatte, stand etwas abseits des Hauses, im hinteren Teil des Gartens. Als ich den einfachen Bau aus Holz und Glas an diesem Nachmittag zum ersten Mal betrat, schlug mir der Geruch von Staub und Pinselreiniger entgegen. Hier war nach seinem Tod nichts mehr angerührt worden. Er hat die Bilder, nach Motiv und Grösse geordnet, in einem Gestell aufbewahrt, das eine ganze Hauswand einnahm. Ich arbeitete mich durch unzählige Versionen von Leuchtturm, Hafen und Landenge, bis ich – ich erkannte sie augenblicklich –, bei den Porträts der einbeinigen Möwe ankam. Ich sah mir jedes einzelne an. Erst als das diffuse Licht des späten Nachmittags mich an meinen ursprünglichen Plan erinnerte, räumte ich seine Pinsel und Farben weg, und richtete mir meine Schreibstube ein. Die Staffelei mit dem unfertigen Bild stellte ich in eine Ecke.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 8

wir waren uns schon lange fremd geworden - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Ich gebe ungern persönliche Dinge preis und veröffentliche meine Romane unter einem Pseudonym. Die Geschichten, die ich schreibe, entspringen meiner Phantasie. Genauso gut könnten sie der Phantasie eines anderen entsprungen sein – meine Person spielt keine Rolle. Weil ich hier jedoch etwas erzähle, was ich tatsächlich erlebt habe, komme ich an dieser Stelle nicht umhin zu bestätigen, was so mancher bestimmt schon erahnt hat: Der Alte ist mein Vater.

Nur so viel: Meine Eltern liessen sich scheiden, als der Alte auf dem Gipfel seiner Karriere stand und ich, mit knapp vierzehn Jahren, in die Pubertät kam. Den vielen guten und weniger guten Ereignissen, die mein Erwachsenwerden danach prägten, werde ich hier, wie eingangs erläutert, keinen Platz einräumen. Wichtig für das Verstehen der Zusammenhänge ist, dass, als ich achtzehn Jahre alt wurde, der Kontakt zu dem Alten abbrach und er, bevor er sich für immer auf die Insel zurückzog, schwer erkrankte. Nur wenige wussten über sein Leiden Bescheid, ich gehörte nicht dazu. Der Alte und ich, wir waren uns schon lange fremd geworden.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 7

Kutschenfahrt - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Als wir beim Haus ankamen, übergab er mir die Schlüssel und liess mich mit dem Versprechen, am nächsten Tag nach mir zu schauen, alleine zurück. Im Haus war es kühl. Ich öffnete die drei Fenster, stieg in das Zwischengeschoss unter dem Dach, setzte mich auf das Bett und betrachtete den Raum unter mir. Es sah alles genauso aus, wie ich es mir in Erinnerung gerufen hatte. Der Kamin, der nahezu den ganzen Raum einnahm, der massive Tisch mit der Eckbank, der rote Ledersessel und das in die Wand eingelassene Büchergestell, das nunmehr leer war. Bis auf die Möbel, ein wenig Wäsche und ein paar Küchenutensilien hatte der Alte nichts zurückgelassen.

Das Atelier, dessen Pläne er mir noch gezeigt hatte, befand sich hinter dem Haus, neben dem alten Schafstall. Als ich den modernen Kubus aus Holz und Glas an diesem Vormittag zum ersten Mal betrat, schlug mir der starke Geruch von Farbe und Pinselreiniger entgegen. Nach seinem Tod hatte man hier nichts mehr angerührt. Das Bild mit dem angefangenen Himmel stand noch auf der Staffelei, auf welcher ich auch den Pinsel mit dem eingetrockneten Blau fand.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 6

Kutschenfahrt - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Im April flog ich über den Kontinent und bestieg an einem Dienstag die erste Fähre mit Kurs auf die Insel. Kurz bevor wir die Hafenmauern passierten, ging ich auf das hintere Deck. Da sah ich die Möwe zum ersten Mal. Sie hockte auf der Reling und starrte mich an. Ich bildete mir ein, dass sie mir etwas zu sagen hatte, doch dann stand sie auf und ich sah, dass ihr ein Bein fehlte. Sie flog davon und ich verwarf meine Phantasie. Zusammen mit einer Gruppe Tagestouristen ging ich an Land. Der Sohn des Krabbenfischers stand etwas abseits neben dem kleinen Café und ich erkannte ihn, ohne zu wissen woran. Nach einer kurzen Begrüssung luden wir mein Gepäck auf einen Pferdekarren und fuhren, begleitet von den neugierigen Blicken der Einheimischen, in Richtung Westen der Insel.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 5

Haus am Meer - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Der Alte hinterliess mir das Haus, die Bilder und eine Summe Bargeld, die grösser war, als ich es erwartet hatte. Ich unterzeichnete die Papiere und retournierte sie dem Notar. Dem Sohn des Krabbenfischers versprach ich, im Frühling auf die Insel zu kommen. Ich wollte einen Sommer lang bleiben, um an meinem neuen Buch zu schreiben, und mich nebenbei um den Verkauf des Hauses kümmern.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 4

Leben und Tod Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Ich hatte den Alten nur einmal auf der Insel besucht. Er zeigte mir seine Bilder und die Entwürfe für ein Atelier. Dann fragte er mich, ob ich mir ein Leben auf der Insel vorstellen könnte. Ich wusste es nicht. Warum mich der Alte nach Jahren des Schweigens überhaupt eingeladen hatte, wurde mir erst viel später klar. Es war ein Abschied.

Als man ihn ein Jahr später ins Grab legte, unterzeichnete ich Verträge auf einem anderen Kontinent. Dass ich von seinem Tod erfuhr, bevor sich irgendein Amt auf meine Existenz besann, verdankte ich dem Sohn des Krabbenfischers. Warum der Alte sich ausgerechnet ihm anvertraut hatte, konnte ich lange nicht verstehen. Doch der Sohn des Krabbenfischers war der Einzige, der wusste, wer ich war und wie er mich finden konnte.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 3

Bilder der Insel Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Der Alte sass vor dem Haus und malte. Er malte die Insel, sie war sein einziges Sujet. Der Sohn des Krabbenfischers winkte ihm zu, doch der Alte schien ihn nicht zu sehen. Am Mittag dann, als der Sohn des Krabbenfischers dem Alten stolz seinen Fang zeigen wollte, fand er ihn tot neben der Staffelei am Boden. Pinsel und Palette lagen auf dem Tisch, das Weiss und die verschiedenen Blautöne waren eingetrocknet. Er hatte den Himmel nicht mehr zu Ende gebracht.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel