Isla Volante

Logbuch der Insel von Rittiner & Gomez

Nr. 32

Eine wundersame Geschichte - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Ich bin auf der Insel geblieben, so viel vorneweg. Über das, was nach der Diagnose geschah, über die Angst und die Zweifel und über die Zeit nach der Operation möchte ich hier nichts erzählen. Diese Notizen habe ich nach meiner Rückkehr, zusammen mit den Tagebüchern des Alten, in eine Kiste gelegt, die noch heute in einer Ecke des Ateliers steht. Auch die blinden Flecken auf meinem Gedächtnis sind geblieben, und ich weiss, dass im Laufe der Zeit weitere dazukommen werden.
Aber die Geschichte ist hier nicht zu Ende, sie nimmt eine Wendung. Vielleicht beginnt sie auch von Neuem. Beginnt mit jenem Tag neu, an dem ich nach der Operation auf die Insel zurückkehrte. Mit dem regnerischen Tag im Spätsommer, an dem der Sohn des Krabbenfischers mich am Hafen abholte und nach Hause brachte. Mit dem wunderbaren Tag, an dem Lola und ihre Freunde im Schutz des alten Schafstalls meine Rückkehr beobachteten. Mit dem traurigen Tag, an dem ich erfuhr, dass Fräulein Mö verschwunden war.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 31

Kopfschmerzen - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Das erste Gewitter in meinem Kopf entlud sich kurz nach Sonnenaufgang: Ich erbrach mich vor dem Haus. Fräulein Mö schaute mir dabei zu.
Ein paar Tage später, als die Medikamente, die ich dagegen nahm, keine Wirkung zeigten, wusste ich, dass ich nicht länger warten konnte. Ich bat den Sohn des Krabbenfischers um die Telefonnummer des Arztes auf dem Festland, der auch den Alten behandelt hatte.
Dann begann ich zu planen. Ich wollte die Insel schnellstmöglich verlassen und zu Hause meinen Roman beenden. Es war mir egal, was mit dem Haus und den Bildern des Alten geschehen würde. Einzig um Fräulein Mö machte ich mir Sorgen.
Doch als ich achtzehn Tage später die Diagnose erhielt, war ich bereits ein anderer Mensch geworden.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 30

Notizettel, die ich mit Stichworten und Zeichnungen - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Am nächsten Tag kaufte ich mir einen Stapel Papier und begann mit meinen Aufzeichnungen. Blatt für Blatt füllte ich mit Stichworten und kleinen Skizzen und versuchte alles festzuhalten, was ich seit meiner Ankunft auf der Insel erlebt hatte. Dann glich ich mein Logbuch mit den E-Mails ab, die ich dem Freund, der mein Haus bewohnte, geschrieben hatte. Einige der Erlebnisse kamen in meinen Aufzeichnungen nicht mehr vor. Ich erinnerte mich nicht an sie.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 29

Abendstimmung - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Am Abend sass ich mit Fräulein Mö vor dem Haus und versuchte, die Geschehnisse vom Nachmittag zu ordnen. Ich erinnerte mich an den Schwächeanfall, an Lolas Sieg und an die besorgten Gesichter, als ich mich am Zaun festklammerte und die Orientierung verlor. Doch den Schluss des Rennens hatte ich nicht gesehen, meine Erinnerung setzte erst dann wieder ein, als Lola durch das Ziel kam.
Der Sohn des Krabbenfischers hatte mich nach Hause gebracht. Ich versicherte ihm, dass es mir gut ginge, dass es einfach zu viel gewesen sei – die Sonne, die Menschen, die Aufregung –, und obwohl ich dies auch mir wieder und wieder einzureden versuchte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 28

Schwindel - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Ich stand mit dem Sohn des Krabbenfischers, dem Postboten und der Frau des Hafen-Cafés am Zaun. Der Sohn des Krabbenfischers stand direkt hinter mir. Die Glocke erklang und die Schafe rannten los. Lola sprang schnell. Vor dem zweiten Hindernis hatte sie vier ihrer Konkurrenten überholt und war in die Mitte des Felds vorgedrungen. Ich wollte ihr etwas zurufen, doch was aus meinem Mund kam, klang sonderbar. Ich erkannte meine eigene Sprache nicht mehr. Mir war schwindelig und ich lehnte gegen den Zaun, bis der Schwindel vorüber war. Alles ging sehr schnell. Lola war im Ziel angekommen.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 27

Lola rennt - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Am Tag des Schafrennens veränderte sich viel. Lange glaubte ich, dass an diesem Tag das langsame Vergessen begann, auch wenn die Ärzte mir wieder und wieder versichert hatten, dass die Krankheit schon viel früher ausgebrochen war.
Die Tagebücher des Alten habe ich bis heute nicht ganz gelesen. Immer wieder hole ich ein Buch aus dem Versteck hervor und schlage es an einer zufällig gewählten Stelle auf, um nur ein paar wenige Sätze zu lesen und es dann zurückzulegen. Es bringt mir nichts mehr, mich jetzt mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 26

Schafrennen - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Bereits die erste Fähre hatte unzählige Tagestouristen entlassen, die jetzt mit den Einheimischen an den Zäunen standen, deren Weiss der Bauer, dem das Land und die Schafe gehörten, jedes Jahr von neuem auffrischte.
Die zwölf Schafe warteten geduldig in ihrem Startfeld. Der Bauer hatte sie mehrere Wochen lang auf die 100 Meter lange Rennstrecke vorbereitet, die in einem mit Futter gefüllten Anhänger endete. Auf die Schafe wurde ein frei gewählter Betrag gesetzt, und weil auf ein Schaf mehr als eine Wette fiel, wurden die Gewinner am Ende des Rennens per Los entschieden.
Der Hauptgewinn war jedoch kein Geld, sondern ein junges Schaf, das man – vorausgesetzt, man verfügte über die notwendige Infrastruktur – mit nach Hause nehmen durfte oder bei seinem Besitzer beliess, um es im nächsten Jahr ins Rennen zu schicken.
Ich hatte mich vom Sohn des Krabbenfischers zu einer Wette überreden lassen und setzte auf das kleinste Schaf. Ein dickliches Tier mit langer, etwas verfilzter, braunweisser Wolle. Es trug ein gelbes Halsband und hiess Lola. Ich rechnete mir wenig Chancen aus.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 25

Schafrennen - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Eine Veränderung fand statt. Die Temperaturen stiegen an, die Zahl der Tagestouristen nahm zu, die Wildblumen begannen zu blühen und der immergrüne Teppich, der die Insel überzog, wurde heller. Ich begann die Menschen zu mögen.
Der Sohn des Krabbenfischers warf seine Körbe jetzt täglich aus – die frischen Krabben verkauften sich gut.
Fräulein Mö blieb in der Nähe des Hauses. Ich baute ihren Unterschlupf aus und beschäftigte mich vermehrt im Garten. Auch meine Geschichte nahm langsam Fahrt auf.
Der Sommer war da und die Insel bereitete sich für das Schafrennen vor.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 24

Comics Alltag - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Ich holte eines der Tagebücher hervor, schlug es in der Mitte auf, betrachtete die in der schwungvollen Handschrift des Alten hingeschriebenen Worte, die mein Bewusstsein jedoch nicht erreichen konnten. Schnell legte ich das Buch in sein Versteck zurück.

Später besuchte mich der Sohn des Krabbenfischers und brachte mir Fisch für Fräulein Mö. Er erzählte mir von den gemeinsamen Erlebnissen mit dem Alten. Wie der Alte beim Anlanden ins Wasser gefallen war, weil er sich im Seil eines Fangkorbs verheddert hatte. Oder, wie die Möwe jeweils auf dem Dach des Bootshauses auf sie gewartet hatte. Und von dem Tag, an dem der Alte seine Krankheit nicht mehr vor ihm verbergen wollte.

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel

Nr. 23

Die die Tagebücher in der Eckbank verlangten nach mir - Graphic Novel - Susan Brandy - Rittiner Gomez

Während der nächsten Tage ereignete sich wenig und ich ging meiner Routine nach, kaufte ein und erkundete die Insel. Dann begann ich, das Hafen-Café regelmässig zu besuchen. Das Beobachten der fröhlichen Hektik, die von den ankommenden Tagestouristen ausging, tat mir gut. Auch die leisen Drohungen meines Agenten schienen für einmal hilfreich gewesen zu sein: Ich schrieb.

Am späten Nachmittag sass ich jeweils vor dem Haus und las oder sprach mit Fräulein Mö, die sich als aufmerksame Zuhörerin erwies. Während ich ihr meine Geschichten erzählte, stolzierte sie über die Wiese und beäugte mich neugierig. Las ich in einem Buch, wagte sie sich etwas näher an mich heran.
Irgendwann in dieser Zeit rang ich mir auch die aufgeschobenen Telefonate mit den Maklern vom Festland ab. Es ergab sich keine Sympathie und ich hielt mich bedeckt, weil ich nicht wollte, dass die Inselbewohner von meinen Plänen erfuhren – sie hatten den Alten gemocht.

Doch trotz aller Geschäftigkeit schaffte ich es nicht, mich von den Tagebüchern in der Eckbank abzulenken. Der Alte verlangte nach mir..

Text: Susan Brandy

Serie: Die Insel