
Der Inselalltag geht seinen Gang. Die Seewache meldet keine besonderen Ereignisse, der Wetterbericht ist gut.
Meilenweit von einem Lächeln von ihr
Meilenweit von sich selber
Logbuch der Insel von Rittiner & Gomez

Der Inselalltag geht seinen Gang. Die Seewache meldet keine besonderen Ereignisse, der Wetterbericht ist gut.
Meilenweit von einem Lächeln von ihr
Meilenweit von sich selber

Ich hatte mich mit dem Sohn des Krabbenfischers im Hafen-Café verabredet, um über das Angebot des Maklers zu sprechen. Draussen tobte ein Sturm, dessen Vorläufer schon seit Tagen auf der Insel spürbar gewesen waren. Jetzt warfen sich die vom Wind gepeitschten Wellen gegen die Hafenmauer und hinterliessen eine Gischt, die wütend nach der Insel griff.
Die Fähre würde heute nicht mehr fahren. Ich war der einzige Gast.
Durch das Fenster beobachtete ich, wie er in seinem Ölzeug in meine Richtung eilte. Als er mich sah, hob er kurz die Hand und lächelte. Ich konnte das Haus nicht verkaufen.
Text: Susan Brandy

Ich erwachte, aufgeschreckt von den Bildern, die gewaltsam in meinen Schlaf eindrangen. Die Träume waren schlimmer geworden: Ich sass im Boot des Alten, mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Das Blau des Himmels verschmolz mit dem Blau des Ozeans und aus meiner Kehle drangen konturlose Laute, die keiner hören konnte. Ich war verloren.
An diesem Morgen vereinbarte ich mit dem Schafbauern, dass Lola und die anderen Schafe bis im Frühjahr bei mir bleiben konnten.
Später rief der Makler an – er hatte einen Käufer für das Haus gefunden.
Text: Susan Brandy

Der Teig für die Baguettes arbeitet schon vor sich hin, der Käse ist rechtzeitig angekommen, die Oliven und der Wein im Keller stehen bereit, die Pastete ist auch fast fertig und morgen muss noch die Crème brûlée zubereitet werden. Katharina Vasces und der Kobboi sind bereit für den Sonntag.
Heute werden Moules Frites serviert, denn das erste Frauenrennen muss gebührend zelebriert werden.
Joven will am Sonntag zum Leuchtturm.
Frau Adler möchte, dass Herr Cãna in der Hölle schmort, und der bereitet tatsächlich einen Schmorbraten vor für den Besuch von morgen.

Heute denke ich oft, dass alles, was auf der Insel geschehen war, Teil eines grösseren Plans gewesen war. Und dass der Alte diesen Plan für mich gemacht hatte. Natürlich weiss ich, dass das nicht stimmt, nicht stimmen kann.
Ich glaube nicht an das Schicksal, genauso wenig an die Deutung zufälliger Geschehnisse. Was einem unerwarteterweise zufällt, das passiert einfach. Man kann sowohl dem zufälligen wie auch dem schicksalhaften Ereignis jedwede Bedeutung geben. Eine wird am Ende immer passen.
Text: Susan Brandy

Die Küche beim Leuchtturm bleibt heute kalt, der Kobboi ist nach seiner morgendlichen Radrunde platt und sitzt nun in der Gaststube und verfolgt die Fahrradweltmeisterschaft am Fernsehen. Zum Glück hat er gestern noch einen Vorrat an Sandwiches vorbereitet, so können alle Leuchtturmbersucher*innen verpflegt werden.

Ich begleitete ihn erneut auf seinem Boot. Schweigend fuhren wir der Sonne entgegen und tranken Kaffee, den ich für uns vorbereitet hatte. Auch heute folgten uns die Möwen, doch fehlte auch heute von Fräulein Mö jede Spur.
Die Ruhe, die er ausstrahlte, seine sorgfältig geformten Sätze und die Leidenschaft, mit der er seine Arbeit erledigte, hatten eine grosse Wirkung auf mich. Es kam zu der ersten Berührung, die nicht per Zufall erfolgte.
In dieser Nacht hatte sich auch der Nordwind auf den Weg gemacht. Das Meer war unruhig geworden. Der Winter rührte an der Insel.
Text: Susan Brandy

Wir erzählten uns unsere Geschichten. Er sprach von seiner Ehe, die in die Brüche gegangen war, weil die Frau das Leben auf der Insel nicht mehr ausgehalten hatte. Und von den Menschen, die geblieben waren.
Es war das erste Mal, dass ich meine Angst in Worte fassen konnte. Die Angst, dass ich die Fähigkeit, Geschichten zu schreiben, verlieren würde. Spät, als die Sonne bereits untergegangen war, sprach ich von der Zeit, in welcher der Alte uns verlassen hatte. Erinnerungen an eine Kindheit, die schön und schmerzhaft zugleich gewesen war.
Text: Susan Brandy

Ich wartete in der Bucht auf ihn. Als er das Boot reinigte, sass ich am Strand und beobachtete die Möwen, die kreischend über unseren Köpfen kreisten. Ich wusste wenig über ihn. Er lebte schon länger von seiner Frau getrennt – vor zwei Jahren war sie auf das Festland zurückgekehrt. Seine Eltern waren tot.
Wir bauten Fräulein Mö’s Behausung ab. Das Einzige, was von ihr zurückblieb, war ein heller Fleck im Gras und die Bilder, die der Alte von ihr gemalt hatte. Das Efeu, welches ich nach meiner Ankunft von den Mauern des Schafstalls riss, war längst nachgewachsen. Die ersten Ranken hatten das Atelier erreicht. Ich liess den Dingen ihren Lauf.
Text: Susan Brandy

Schon bevor ich auf die Insel gekommen bin, habe ich mich mit der Einsamkeit auseinandergesetzt. Sie war immer ein Teil von mir gewesen. Ich habe sie verdrängt, durchlitten, erfahren und sie mir am Ende zunutze gemacht. Die Insel hat mich vieles gelehrt, nicht nur das Alleinsein.
Ich bin kein Beziehungsmensch, was aber nicht heisst, dass ich nicht lieben kann. Der Sohn des Krabbenfischers und ich, wir sind uns nähergekommen: Die Gefühle kamen unerwartet an dem Tag, als ich das erste Mal alleine mit dem Boot hinausgefahren war.
Text: Susan Brandy